Der in der damaligen Diskussion nur am Rande behandelte und vom damaligen Gutachten nicht berührte, mitlerweile aber sehr verbreitete Baustein „Regeln-des-Zusammenarbeitens“ im Grüner/Hilt’schen Gesamtsystem muss als mindestens ebenso problematisch eingestuft werden wie der im Auftrag des Ministeriums begutachtete Baustein „Regeln-des-Zusammenlebens“.
Deutlich trägt er die Handschrift neo-liberaler Bildungskonzepte, die sich durch unterkomplexe Erklärungen, „ein einfaches, überschaubares und scheinbar effizientes Problemmanagement“ auszeichnen und Effizienz und „Aufwandsreduzierung versprechen.“[i] Grüner/Hilt differenzieren strikt zwischen Norm und Abweichung unter dem Paradigma der Regelkonformität und versprechen, Abweichung verwaltbar und abschaffbar zu machen. Sie suggerieren Machbarkeit und ein Interesse für die Lehrergesundheit, lenken dabei aber ab von der nötigen Reflexion auf die größeren Zusammenhänge wie Arbeitsbedingungen des Lehrberufes, die gesellschaftlichen Gründe für schwieriges Schülerverhalten und Unterrichtsstörungen und die primär zu stärkende ‚innere Autorität‘ der Unterrichtenden. Mit der Definition der Schule als Zwangsinstitution und der Verdrehung ihres Auftrages zur Selektion und Vorbereitung auf die Leistungsgesellschaft setzen sie sich dezidiert ab vom ganzheitlichen Bildungsziel, wie es in Landesverfassung, Bildungsplänen und Schulgesetz verankert ist, und das die Aufgabe von Schule in der Bildung der Gesamtpersönlichkeit und der Erziehung zu kritischen BürgerInnen der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sieht
Statt dessen werden im Handstreich und unter der Vorgabe, damit ja ’nur‘ der „pedagogical correctness“ zu widersprechen, Grundrechte zu Privilegien umgedeutet, werden totalitäre Machtinszenierungen, Konformität und Anpassung propagiert und Reflexion und Kritik verboten oder lächerlich gemacht. Ganz besonders gravierend ist die für den gesamten Baustein (und da ja jedem Baustein ein ‚Recht‘ zugrunde liegt, ist dies vermutlich im ganzen Programm so) grundlegende Verdrehung des Begründungszusammenhangs zwischen Werten, Rechten und Regeln/Gesetzen und die Umdeutung von Werten zu Regeln, die „Wert“ besitzen/haben, insofern sie eingefordert werden. Mit solchen Gedankengängen wird auch der Wert der Menschenwürde antastbar.
In Anbetracht der Tatsache, dass viele Schulen sich Teile des Grüner/Hilt’schen Programms, und besonders gerne auch den hier untersuchten Baustein einkaufen und auf ihre Schulbedürfnisse zugespitzt zur Anwendung bringen, sollte das Ministerium nochmals, und diesmal vehementer, tätig werden. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung hat nur Bestand, wenn SchülerInnen von integren Lehrkräften zu mündigen, kritischen BürgerInnen erzogen werden, wenn sie dazu erzogen werden, sich nicht von Machtinszenierungen beeindrucken lassen und wenn die Werte dieser Gesellschaft nicht über ihre Effizienz und ihren Marktpreis definiert werden. Mit einer Grüner/Hilt verpflichteten „Pädagogik“ steht dies ernsthaft infrage.
[i] Herz, „Neoliberaler Zeitgeist in der Pädagogik“, 181.