Warum dieser Blog?

Das in Freiburg ansässige Institut für Konflikt-Kultur, geleitet vom Dipl. Psychologen Thomas Grüner, bietet seit 1997 für „Einzelne, Paare, Gruppen und Organisationen“ Kommunikationstrainings und ein umfangreiches Fortbildungsprogramm „zum Umgang mit Konflikten“[i] an. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Instituts, seiner Fortbildungen sowie der von ihrem Leiter und verschiedenen Mitarbeitern/innen, v.a. dem Dipl. Sozialarbeiter Franz Hilt, publizierten Bücher und Aufsätze liegt auf den Kontexten Schule und Jugendhilfeeinrichtungen. Für diesen Kontext bzw. diese Zielsetzung wurde ein aus vier Bausteinen bestehendes Programm namens Konflikt-KULTUR® entwickelt[ii]. Die Bausteine werden in fünf Fortbildungen vermittelt und können einzeln oder in verschiedenen Kombinationen gebucht werden[iii], man kann sie auch in verschiedenen einzelnen Veröffentlichungen der Autoren nachlesen[iv]. Insgesamt handelt es sich allerdings um ein „Mehr-Ebenen-Programm“[v], einen Komplettansatz, bei dem „durch das Zusammenfügen mehrerer Bausteine […] besondere Synergieeffekte erzeugt [werden]“[vi].[vii] Das Programm wird von seinen Urhebern und Vertreibern als umfassend und gleichermaßen grundlegend für Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen betrachtet; es soll „im Alltag und in der Struktur [der jeweiligen Einrichtung] ver-anker[t] und zum integralen Teil des pädagogischen Konzepts bzw. Schulprofils“[viii] gemacht werden. Eine Beeinflussung einer „nachhaltige[n] Schulentwicklung“[ix] im Sinne der Maßgaben des Programms wird angestrebt.

 

Grüner und Hilt erheben den Anspruch, mit ihrem Programm ein „umfassendes, praxiserprobtes und wissenschaftlich erforschtes und anerkanntes Fortbildungs- und Präventionsprogramm“[x] geschaffen zu haben. Dies trifft indes nur teilweise zu, da die angeführten Publikationen entweder nicht auf den Kontext Schule bezogen sind, oder aber von Grüner/Hilt selbst (mit-)verfasst wurden[xi], sodass sie sich also letztlich selbst validieren. Publikationen anderer AutorInnen und solche die sich auch kritisch mit den Prämissen, Zielsetzungen und inhaltlichen Aspekten des Grüner/Hilt’schen Programms befassen, werden nicht angegeben.[xii] Bislang scheint sich die pädagogische Fachwissenschaft allerdings auch nicht eigens mit dem Grüner/Hilt’schen Programm befasst zu haben. In kritischen Auseinandersetzungen mit konfrontativer Pädagogik, mit der neuen Disziplinarkultur und dem Einzug neoliberalen Denkens in Bildung und Erziehung wird es allerdings mitbehandelt.[xiii]

 

Im unabhängigen pädagogischen Diskurs also offensichtlich wenig beachtet und wenn, dann mit Kritik bedacht, hat das Grüner/Hilt’sche Programm dennoch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss: Nach einem auf der Internetpräsenz der Arbeitsgemeinschaft für Gefährdetenhilfe und Jugendschutz (AGJ) eingestellten Dokument aus dem Jahr 2007 war das Programm Konflikt-KULTUR®[xiv] zum damaligen Zeitpunkt „in Deutschland und in der Schweiz an 225 Einrichtungen“, davon an 215 Schulen aller Schularten, „nachhaltig implementiert“[xv]. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Zahl der Schulen, die nach diesem Programm arbeiten, mittlerweile erhöht hat. Grüner und Hilt geben eine lange Liste von öffentlichen und kirchlichen Stellen von Kiel über Berlin bis Südbaden an, von denen ihr Programm gefördert wird, mit denen sie zusammenarbeiten und deren Einrichtungen das Programm oder einzelne Bausteine davon implementiert haben. Unter den genannten befindet sich auch das Regierungspräsidium Freiburg[xvi] und die Schulämter Freiburg, Offenburg und Waldshut[xvii]. Das Programm Konflikt-KULTUR® wird zudem auch vom Fachverband für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg e.V. respektive der Arbeitsgemeinschaft für Gefährdetenhilfe und Jugendschutz (AGJ) in Kooperation mit dem Institut für Konflikt-Kultur angeboten.[xviii]

 

Die lange Liste der Kooperationspartner ist beunruhigend, die Tatsache, dass sich darunter das Regierungspräsidium Freiburg befinden soll, verwunderlich. Prämissen, Zielvorgaben und Methoden, mithin das Konzept insgesamt sind, wie i.F. zu zeigen, nicht unproblematisch, und gerade das Regierungspräsidium Freiburg wurde darauf schon aufmerksam gemacht: Über den Baustein „Regeln-des-Zusammenlebens“ aber auch Teile des hier diskutierten Bausteins fand im Jahr 2004 eine ausführliche und z.T. schriftlich nachlesbar geführte Diskussion zwischen Jochen Sautter[xix], Th. Grüner und F. Hilt sowie VertreterInnen der AGJ in der Erzdiözese Freiburg statt. Im Zuge dessen konnte Jochen Sautter (unterstützt durch einen Mitarbeiter der ZEIT) auch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg unter der damaligen Ministerin Annette Schavan auf den Einsatz der Regeln und Methoden Grüners und Hilts in Baden-Württembergisch aufmerksam machen. Ein vom Ministerium eingeholtes externen Fachgutachten über den Baustein, wie er in Das mach‘ ich wieder gut[xx] niedergelegt ist, bestätigte J. Sautters Bedenken, so dass das Ministerium mit dem Gutachten feststellte, dass die untersuchten Teile des Programms nicht den Zielen der Grundschule (darum ging es damals speziell) einer „ganzheitlichen Förderung der kindlichen Persönlichkeit“[xxi] entsprächen. Das Regierungspräsidium Freiburg/Abteilung 7, Schule und Bildung, wurde daraufhin gebeten, „die Schulen zu benachrichtigen, dass gegen die in diesem Buch dargestellten Methoden erhebliche Bedenken bestehen.“[xxii] Nach der damaligen Erhebung des Ministeriums wurde das Buch Das mach‘ ich wieder gut „bei der staatlichen Lehrerfortbildung weder eingesetzt noch [wird] darauf verwiesen“[xxiii], sodass hier kein Handlungsbedarf bestand.[xxiv]

 

Dennoch interessieren sich nicht wenige Schulen aller Schularten gerade auch im Bereich des Regierungspräsidiums Freiburg weiter für einzelne Bausteine des Grüner/Hilt’schen Programms – einschließlich des ministeriell explizit für bedenklich eingestuften – und integrieren sie, wie von Grüner/Hilt gefordert, in ihren Schulalltag. Besonders gefragt sind m.W.[xxv] die Bausteine „Mediation und Streitschlichtung“[xxvi], „Regeln des Zusammen-Arbeitens“ und „Regeln des Zusammen-Lebens“. Grund genug, sich das Grüner/Hilt’sche Programm noch einmal näher anzusehen.


[i] Grüner, „Konflikt-Kultur®. Willkommen.“

[ii] Wie das ® erkennen lässt, wurde das Programm auch rechtlich geschützt.

[iii] Die Fortbildungen sind nicht billig sondern belaufen sich auf mehrere tausend Euro, für die oft die Schulträger (und damit die öffentliche Hand) aufkommen. So meine Recherchen (Quellen möchten ungenannt bleiben) und Grüner/Hilt, „Konzept. Finanzierung.“

[iv] Vgl. Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Publikationen“. Die Bücher erwecken den Eindruck, aus den Fortbildungsveranstaltungen entstanden zu sein, indem sie Einwände gegen einzelne Aspekte in Zitatform bringen und konkrete Regeln als praxiserprobt darstellen. Ob dies aber tatsächlich der Fall ist, scheint mir aber fraglich, die angeblichen Einwände wirken mitunter sehr stark über- und verzeichnet . Vgl. dazu die Abschnitte drei, vier und fünf dieser Arbeit.

[v] Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention.“

[vi] Grüner, „Fortbildungen. Schule und Jugendhilfe.“

[vii] Vgl. das Schaubild in Grüner/Hilt, Bei STOPP ist Schluss, 4 (ebenso auf: Dies., „Grafik“) das den Zusammenhang der verschiedenen Bausteine illustriert.

[viii] Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention.“

[ix] Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention.“

[x] Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention. Idee.“

[xi] Das ist nicht gleich zu sehen, weshalb die Referenzliste erst einmal imposant erscheint.

[xii] Vgl. Grüner, „Konflikt-Kultur. Publikationen.“ U.a. behaupten sie, ihr Programm erfülle alle Kriterien, das diverse Publikationen, darunter ein sogenanntes „Düsseldorfer Gutachten“ für erfolgreiche Präventionsmaßnahmen an Schulen, aufgestellt haben. Allerdings handelt es sich bei dem „Düsseldorfer Gutachten“ nicht um ein Gutachten für die Gewaltprävention an Schulen oder Jugendhilfeeinrichtungen, sondern um eine von verschiedenen Instituten für Kriminalwissenschaften und Kriminologie durchgeführte, von Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt in Auftrag gegebene und veröffentlichte „Sekundäranalyse der kriminalpräventiven Wirkungsforschung“, die „[e]mpirisch gesicherte Erkenntnisse über kriminal-präventive Wirkungen“ im öffentlichen Raum (also auf Straßen und Plätzen) untersuchte.

[xiii] Vgl. hierzu bes. Dörr/Herz, „Unkulturen“ in Bildung und Erziehung, darin v.a. den Beitrag von Herz, „Neoliberaler Zeitgeist in der Pädagogik. Zur aktuellen Disziplinarkultur.“

[xiv] Ob es sich hierbei jeweils um das ganze Programm oder einzelne Bausteine handelt, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich.

[xv] Vgl. Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention.“ Eine undatierte html-Version dieses Textes liegt auf: http://www.agj-freiburg.de/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog &id=19& Itemid= 50. Die gleiche Information findet sich auch auf Grüner, “ Schule und Jugendhilfe. Implementierung.“

[xvi] Vgl. Grüner, „Referenzen. (Eine Auswahl)“, sowie Grüner/Hilt, „Konzept. Kooperation und Referenzen.“

[xvii] Vgl. Grüner, „Schule und Jugendhilfe. Förderung.“

[xviii] Vgl. Grüner/Hilt, „Konflikt-Kultur®. Soziale Kompetenz und Prävention.“

[xix] J. Sautters Sohn ging damals in eine Freiburger Grundschule, die Teile des Grüner/Hilt’schen Programms verwendete.

[xx] Vgl. Durach/ Grüner/ Napast, Das mach ich wieder gut.

[xxi] Schavan, Brief an Jochen Sautter vom 7.Januar 2005.

[xxii] aaaO.

[xxiii] aaaO.

[xxiv] Angeblich sollen Teile des Grüner/Hiltsch’schen Programms indes zwischenzeitlich in der Lehrerausbildung verwendet werden, ich werde dem bei Gelegenheit noch nachgehen.

[xxv] Dies ergaben Gespräche mit LehrerInnen verschiedener Schulen im Regierungspräsidium Freiburg

[xxvi] Vermittelt über den BDKJ bildet das Institut an vielen Schulen die StreitschlichterInnen aus.

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