Eine explizite Definition dessen, wie der Begriff des Wertes verwendet wird, sucht man vergebens, auch wenn sich der Begriff bereits im Untertitel des Buches Bei STOPP ist Schluss findet und immer wieder schlagwortartig auftaucht. Eine Interpretation könnte sein, dass Grüne/Hilt Fähigkeiten, wie „Schlüsselqualifikationen […], emotionale Intelligenz, soziale Kompetenz und Soft Skills“, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit, die Fähigkeit, sich in eine Sozialstruktur einzuordnen, Konflikte fair auszutragen und diejenigen, „mit Kritik, Misserfolgserlebnissen, Leistungsanforderungen und Langeweile umzugehen“, Einfühlungsvermögen zu haben und über Kommunikationstechniken zu verfügen (vgl. 7) als Werte begreifen. Die Syntax der betreffenden Stelle scheint allerdings die „Wertevermittlung“ eher zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen dazuzugesellen; demnach müssten die „Werte“ also noch etwas anderes sein.
Es fällt auf, dass der Begriff „Wert“ fast immer in einem Atemzug mit dem der „Regel(n)“ verwendet wird[i], und dass, bevor von Werten gesprochen wird, immer zuerst von „Rechten“ (vgl. die vier Rechte, die den vier Bausteinen zugrunde liegen) die Rede ist. Im hier nicht näher behandelten zweiten Teil des Buches Bei STOPP ist Schluss findet sich folgendes Zitat: „Sie bestimmen durch Ihr Verhalten den Wert einer Regel. Nur wenn Sie bei diesen Entwertungsversuchen [Beispiel: Regel wird ins Lächerliche gezogen] reagieren und vor allen anderen Schülern einen hohen Preis dafür verlangen, werden die Schüler wissen, dass Ihnen und der Schule diese Regel etwas wert ist. Das ist Wertevermittlung.“ (93). Damit ist „Wert“ für Grüner/Hilt eine Eigenschaft, die einer Regel zukommt, und deren Position in einem Statusgefüge mit positiven negativen Sanktionen etabliert werden muss. Dies wird durch die pekuniäre Metaphorik unterstrichen.
Genau besehen ist das Verhältnis zwischen Rechten, Regeln und Werten bei Grüner/Hilt so konzipiert, dass zuoberst der Hierarchie ein bestimmtes Recht steht, wie z.B. das „Recht auf störungsfreien Unterricht“. Wird dieses Recht eingefordert, gibt man ihm einen bestimmten Wert, fordert man es nicht ein, sinkt der Wert des Rechtes. Um dieses Recht zu seiner Durchsetzung zu verhelfen und damit seinen Wert zu steigern, bedarf es der Regeln. Wer die Regeln so internalisiert hat, dass er/sie automatisch befolgt, hat damit gleichzeitig das Recht internalisiert und ihm zu einer Wertsteigerung verholfen.
Diese Verwendung des Begriffes „Wert“ und die Grüner/Hilt’sche Hierarchiebeziehung zwischen Rechten, Regeln und Werten stellt die ethisch-philosophischen und rechtsphilosophischen Beziehungen zwischen Werten, Rechten und Regeln auf den Kopf: Werte (wie z.B. der Wert der Menschenwürde, oder eines gegenseitigen respektvollen Umgangs) können zwar ggf. durch eine Regel bzw. durch ein Gesetz eingefordert und geschützt werden, sie gehen aber der Regel und dem Gesetz voraus und stehen auf jeden Fall über ihnen. Aus Werten leiten sich Rechte ab (aus der Menschenwürde die Menschenrechte), die ggf. gesetzlich (in Grundrechten) fixiert und damit einklagbar werden. In jedem Fall sind Werte absolut, d.h., ihr Wertecharakter ist nicht davon abhängig, ob und inwiefern die ihnen zugehörigen Rechte und Regeln respektiert oder eingehalten werden. Diesen grundlegenden Zusammenhang und dieses grundlegende Hierarchieverhältnis, wie es z.B. ja auch im Grundgesetz Ausdruck findet, haben Grüner/Hilt also marktökonomisch pervertiert.
[i] Durch den ersten Baustein sollen „Werte und Arbeitshaltungen“ (4) gelernt werden. Vgl. auch Grüner, „Fortbildungen. Schule und Jugendhilfe. Erfolgskriterien“, wo „Regeln und Normen“, Verhaltensmuster, Kompetenztraining und Wertevermittlung in einem Atemzug genannt werden. Vgl. sodann die Ausführungen zur Arbeits- und Ruheregel (23), vgl. 5: „Werte und Sozialtraining“, die Ausführungen auf S. 11 zu „Werten, Regeln, Grenzen und Normen“